„Padre, die Protestanten breiten sich immer weiter aus; Sie müssen eine Kampagne gegen sie starten“, sagte mir Schwester Dolores, eine Nonne des Klosters, zu welchem ich sonntags ging, um die Messe zu lesen und zu predigen.
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Der gleiche Gott, der das Leben des Christenverfolgers Saulus auf dem Weg nach Damaskus und das Leben des Priesters Borrás in der Zelle eines Klosters neu gemacht hat, kann auch Ihr Leben neu machen, wo auch immer Sie sind.
Ich war ein junger Priester und unterrichtete an einer Schule in Spanien, als mich diese Nonne Sonntag für Sonntag bat, etwas gegen die Protestanten zu unternehmen. „Sie überreden die einfachen Leute, und mit materiellen Geschenken gewinnen sie viele gute Bürger für ihre ketzerische Gruppe“, klagte sie.
Ich war bereit, das Evangelium von Christus zu verteidigen und beschloss, gegen die Protestanten zu kämpfen. Das einzige, was ich über sie wusste, war, dass sie schlecht und ihre Lehren voller Irrtümer und Ketzereien seien.
Einige Tage später brachte ein Schüler ein dickes Buch mit in die Klasse. „Padre, dies ist eine protestantische Bibel. Eine Frau gab sie meiner Mutter. Sie hat sie gelesen und sagt, es sei ein gutes Buch. Aber jetzt hat sie Angst, sie zu behalten, denn jemand hat ihr gesagt, es sei Sünde, eine protestantische Bibel im Haus zu haben. Nun weiss sie nicht, was sie damit machen soll.“ „Was sie damit tun soll? Sofort vernichten natürlich! Wir müssen der protestantischen Propaganda in dieser Stadt ein Ende machen“, sagte ich meinen Schülern. Und vor ihren Augen begann ich, die ersten Seiten aus der Bibel zu reissen, änderte aber dann meine Meinung und dachte für mich: „Da ich ja gegen die Protestanten predigen soll, deren Irrtümer ich gar nicht kenne, könnte ich diese Bibel gebrauchen um herauszufinden, worin ihre hauptsächlichen Irrlehren bestehen.“
Ich las einige Stellen aus dem Neuen Testament und verglich sie mit meiner katholischen Bibel. Als ich feststellte, dass beide Bibeln praktisch das gleiche sagten, war ich überrascht und verwirrt. Ich fragte mich: „Warum gibt es denn diese Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten, wenn doch anscheinend beide die gleiche Bibel haben?“ Ich kam zum Schluss, dass die Protestanten ihre Bibel entweder nicht lasen oder, falls sie es doch taten, sicher nicht danach lebten.
Eine Familie und ein Prediger
Um herauszufinden, wer und wie die Protestanten seien, schien es mir das Beste, ihr Leben und ihre Bräuche zu beobachten. So besuchte ich eine protestantische Familie. Ich erklärte ihnen, dass ich nebst meinem Priesteramt auch noch in einer Mittelschule unterrichte, und dass ich mich über ihre Lehren informieren wolle, um meinen Schülern besser erklären zu können, was der Protestantismus sei. Ich war erstaunt, mit welcher Freundlichkeit diese Familie mich empfing und war verblüfft, als ich merkte, dass sie die Bibel besser kannten als ich. Ich war beschämt, als ich hörte, wie sie mit einer Überzeugung von Christus redeten, die ich, der Priester, nie gekannt hatte.
Sie beantworteten mir einige Fragen und luden mich dann ein, mit dem Prediger ihrer Baptistengemeinde zu sprechen. Ich traf diesen am folgenden Tag und sagte ihm als erstes: „Bitte versuchen Sie nicht, mich zu überzeugen, Sie würden nur Ihre Zeit verschwenden. Ich glaube, dass die römisch-katholische Kirche die einzig wahre Kirche ist und möchte von Ihnen nur wissen, aus welchen Gründen Sie nicht katholisch sind.“ Er schlug vor, dass wir uns jede Woche treffen, um das Neue Testament zu lesen und auf freundschaftliche Art unsere unterschiedlichen Ansichten zu diskutieren. Und so machten wir es. Der Prediger beantwortete alle meine Fragen mit Stellen aus dem Neuen Testament, wogegen meine Argumente immer auf Aussagen von Päpsten oder Konzilbeschlüssen beruhten. Ich tat zwar so, als ob ich seine Erklärungen nicht annehmen würde, aber innerlich merkte ich doch, dass die Worte aus den Evangelien mehr Gewicht hatten als die Beschlüsse der Konzile, und dass das, was Petrus und Paulus sagten, mehr Autorität hatte als die Lehren der Päpste.
Als Folge unserer Gespräche fing ich an, eifrig das Neue Testament zu lesen, um irgendwelche Gründe gegen die protestantische Lehre zu finden. Ich wollte dem Prediger nicht nur zeigen, dass er sich irrte, sondern ihn sogar für die römisch-katholische Kirche gewinnen. Aber nach jeder unserer Unterredungen kehrte ich mit dem Gefühl in mein Schulhaus zurück, dass seine Argumente stärker waren.
Lange Zeit war ich sehr unruhig. Ich las das Neue Testament und betete zu Gott, er möge meinen Glauben mehren und meine Zweifel wegfegen, damit ich nicht einen Irrtum begehe. Aber je mehr ich las und betete, desto verwirrter wurde ich. War es möglich, dass die katholische Kirche nicht die Kirche von Christus war? Konnte es sein, dass ich den falschen Glauben hatte? Und wenn es so wäre, was musste ich dann tun?
Ich hatte gehört, dass andere Priester und Mönche sich aufgrund ihrer Beschäftigung mit der Bibel dem protestantischen Glauben zugewandt hatten, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dasselbe zu tun. Ein Protestant werden? Ein Ketzer? Ein vom Glauben Abgefallener? Nie und nimmer! Was würden meine Eltern, Schüler und Freunde sagen? Meine elf Jahre Hochschulstudium würden als ungültig erklärt werden. Und wie sollte ich meinen Lebensunterhalt verdienen?
Diese Überlegungen beunruhigten mich aufs Äusserste. So zog ich es vor, meinen Glauben nicht zu ändern. Hätte ich doch nur nie mit diesem Prediger gesprochen! Ich versuchte, mir selber einzureden, dass er unrecht hatte. Immer eifriger suchte ich im Neuen Testament nach einer Bestätigung meiner Stellung als römisch-katholischer Priester. Aber je mehr ich las, desto klarer erkannte ich, dass der Irrtum auf meiner Seite lag. Doch ich hatte so sehr Angst, die katholische Kirche zu verlassen, dass ich beschloss, Priester zu bleiben, obwohl ich nicht mehr an die römisch-katholischen Lehren glauben konnte.
Licht in der Dunkelheit
Eines Sonntags kam Dolores, die Nonne, wieder auf mich zu: „Padre, Sie haben nicht gegen die Protestanten gepredigt, obwohl Sie es mir versprochen hatten. Täglich gewinnen sie neue Menschen für ihre Kirche.“ „Schwester“, sagte ich zu ihr, „ich habe während dieser ganzen Zeit die protestantische Lehre studiert und entdeckt, dass diese Menschen gar nicht so schlecht sind, wie wir meinen. Sie gründen ihre Lehre auf die Bibel, und wir können nicht gegen das Wort Gottes predigen.“
„Sie irren sich, Padre“, antwortete die Nonne. „Die Protestanten sind sehr schlecht. Sie sind Wölfe im Schafspelz. Sie sind Feinde unseres Landes. Sie hassen Maria. Sie untergraben unseren Glauben an den Papst. Wir müssen etwas gegen sie unternehmen.“ Ich erzählte ihr, wie einige Priester, die gegen die Protestanten predigen wollten, sich bekehrt hätten und selber Protestanten geworden seien, als sie ohne Vorurteile und im Licht der Bibel ihre Lehren studiert hätten. Entrüstet unterbrach mich die Nonne: „Sagen Sie das nicht, Padre; sie haben sich nicht bekehrt, sondern wurden verkehrt. Sie liefen zum Protestantismus über, weil sie geisteskrank waren oder heiraten wollten. Aber Sie können diese Lehren ohne Bedenken studieren“, fuhr sie fort, „ich bin sicher, dass Sie nie zum Protestantismus übertreten werden, denn Sie sind weder geisteskrank noch würden Sie Christus wegen einer Frau verraten.“
„Ich teile Ihre Gedanken, Schwester“, antwortete ich „und ich verspreche Ihnen, mich ernsthaft mit der Sache auseinanderzusetzen. Wenn ich zum Schluss komme, dass die Protestanten im Unrecht sind, werde ich eine Kampagne gegen sie starten. Wenn ich entdecke, dass sie recht haben, werde ich einer von ihnen werden.“ „Seien Sie unbesorgt, Padre“, sagte die Nonne, lächelte, und war mit meiner Entscheidung sehr zufrieden. „Sie werden niemals ein Protestant werden.“
Wieder und wieder las ich mein Neues Testament und bat Gott von ganzem Herzen um Weisheit und Führung, um zu einem klaren und richtigen Entschluss zu kommen. Ich wusste, dass ich auf keine andere Art je glücklich werden könnte.
Die Gnade Gottes
Drei Monate später verliess ich die römisch-katholische Kirche, weil ich nicht weiterhin Dinge praktizieren und Lehren glauben konnte, von denen ich tief in meinem Herzen wusste, dass sie falsch waren. Ich dachte an alle Schwierigkeiten, die auftreten konnten, aber ich entschied mich, trotz allem Jesus Christus nachzufolgen.
Das Wichtigste, das mir je geschehen konnte, war meine persönliche Begegnung mit Jesus Christus, als ich ihn als meinen persönlichen Erretter erkannte.
Es genügt nicht, ein guter Katholik zu sein; es ist wichtig und nötig, in Christus neu geboren zu werden. Das habe ich erlebt. Als Christus in mein Leben kam, hat er mich nicht nur von den Sünden befreit, sondern auch von der schweren Last, die das Leben als Mönch mit sich brachte. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns mit jedem geistlichen Segen gesegnet hat in den himmlischen Bereichen in Christus. … In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade“ (Epheser 1,3+7).
Dank sei Gott für die vielen Menschen, die diese Ruhe gesucht und gefunden haben. Der gleiche Gott, der das Leben des Christenverfolgers Saulus auf dem Weg nach Damaskus und das Leben des Priesters Borrás in der Zelle eines Klosters neu gemacht hat, kann auch Ihr Leben neu machen, wo auch immer Sie sind.
„Ich freue mich sehr in dem HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir Kleider des Heils angezogen, mit dem Mantel der Gerechtigkeit mich bekleidet“ (Jesaja 61,10).
José Borrás wurde 1927 in Spanien geboren und hat sich auch dort bekehrt. Während 30 Jahren war er Vorsteher und Lehrer am ‚Seminario Teológico Bautista de España (Bibelschule der Baptistengemeinden) in Alcobendas (Madrid). Während dieser Zeit verkündigte er das Evangelium auch auf Reisen in über 20 Ländern. Bis zu seinem Heimgang im Jahr 2002 war er für seinen Herrn tätig.
Über seine Lebensgeschichte hat José Borrás den Titel Del monasterio al ministerio gesetzt („Vom Mönch zum Prediger des Evangeliums“). Sie ist, wie viele seiner Predigten, auch als Audiokassette erhältlich. Auch im Video „Catolicismo: Una fe en crisis“ ist er, nebst anderen ehemaligen Priestern und Nonnen, zu sehen und zu hören.