Nie hätte ich geglaubt, dass ich je die römisch-katholische Kirche verlassen würde. Was schon für einen gewöhnlichen Katholiken kaum vorstellbar ist, war es noch viel weniger für mich als Priester.
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Zwanzig Jahre Klosterleben, das Studium der römisch-katholischen Theologie und dazu mein störrischer Charakter, das alles erschwerte meine Suche nach Gott und meine Begegnung mit ihm.
Nie hätte ich geglaubt, dass ich je die römisch-katholische Kirche verlassen würde. Was schon für einen gewöhnlichen Katholiken kaum vorstellbar ist, war es noch viel weniger für mich als Priester. Hätte mir jemand vorausgesagt, dass ich diesen Schritt einmal tun würde, ich hätte es nicht geglaubt.
Mit 15 Jahren trat ich dem Orden der Salesianer bei und wurde nach der üblichen Ausbildungszeit zum Priester geweiht. Ich arbeitete vor allem unter jungen Menschen, was mir viel Freude bereitete. Doch dann – nach fast zehnjährigem Priesterdienst – legte mein Superior mir eine kirchliche Strafmassnahme auf. Ich musste für einen Monat nach Rom reisen und dort geistliche Bussübungen absolvieren. Der Grund für diese Strafe war folgender: Ich hatte dem Superior mitgeteilt, dass ich Gefühle für eine junge Frau hatte. Die Beziehung zu ihr hatte ich zwar bereits abgebrochen, einerseits weil ich nicht sicher war, ob ich sie wirklich liebte, aber vor allem, weil ich das Gelübde nicht brechen wollte, mit dem ich mein Leben Gott geweiht hatte. Hinter meiner Entscheidung steckte natürlich auch eine grosse Portion Stolz und Egoismus. Es wäre mir nämlich höchst unangenehm gewesen, zu denen zu gehören, die ihrer Berufung zum Priesteramt untreu geworden waren.
Eigentlich hatte ich den Superior gebeten, mich in ein anderes Kloster zu überweisen, aber statt einer väterlichen Moralpredigt gab er mir einen Brief, der mich über meine Strafe in Kenntnis setzte. Ich wusste, dass diese Schande mich für den Rest meines Lebens brandmarken und man mich von nun an immer mit einem gewissen Misstrauen beobachten würde.
Vom Leben unter dem Kirchengesetz
Während meines Strafmonats in Rom kamen Verzweiflung und Bitterkeit in mir auf. Manchmal wollte ich fliehen, egal wohin. Andere Male sehnte ich mich zurück nach meiner Arbeit in Neapel. Ich ging durch Momente tiefster Depression. Ich rief im Gebet den Herrn an, aber weder in mir noch um mich war etwas zu hören. Ich fühlte mich völlig allein, wie in einem Gefängnis, gequält von der Überzeugung, zu Unrecht bestraft worden zu sein.
Das Kloster lag auf dem Monte Celio, einem Hügel nahe der Altstadt Roms, mit Blick auf die ganze Stadt und das Kolosseum; von dort konnte ich dem normalen Alltagsleben da unten zuschauen. Ich sah, wie die Leute miteinander spazieren gingen und ihr Zusammensein genossen und fragte mich, ob sie damit wirklich etwas taten, was Gott missfiel. Wie gern hätte ich mich unter sie gemischt. Wie sehr wünschte ich mir, meine schwarzen Kleider ablegen zu dürfen, diesen Talar, der mir das Gefühl vermittelte, eine weltfremde Person zu sein. Ich wollte ein normaler Mensch sein, wie alle anderen.
Schliesslich vertraute ich mich einem alten Priester an und erklärte ihm, was in mir vorging. Er riet mir, meinem Vorgesetzten zu schreiben und ihn um Erlaubnis zur Rückkehr an meine Arbeitsstelle zu bitten. Der Superior schrieb zurück, ich müsse diese unangenehmen Umstände als Strafe für meine Sünde und Untreue ertragen. Aber er erlaubte mir, tagsüber das Kloster zu verlassen, was ich dann auch tat.
Er hatte natürlich gemeint, dass ich als ein Pilger die Stadt Rom besichtigen solle, aber ich ging als Tourist. Ich kaufte bunte Zeitschriften und weltliche Hefte, doch sie machten mich nicht glücklich. Ausserdem nutzte ich die Gelegenheit, um viele andere Priester um ihren Rat zu fragen. Ihr Fazit war immer das gleiche: Ich hätte mein Problem nie meinem Superior erzählen, sondern schweigen sollen. Mein Superior hatte nur gehandelt, wie es im Kirchengesetz vorgeschrieben ist, wenn er auch die Paragraphen in der strengstmöglichen Art interpretiert hatte.
Als ich nach Neapel zurückkehrte, nahm ich meine Arbeit nicht wieder auf, sondern zog zu meinen Eltern.
Was ‚Rom’ lehrt, widerspricht der Bibel
Während meines Aufenthalts in Rom hatte ich einige Zeit damit verbracht, die römisch-katholischen Lehren mit der Bibel zu vergleichen. Dabei hatte ich festgestellt, dass die Kirche, um ihre Lehren zu untermauern, die Bibel falsch und unehrlich zitiert.
Man hatte mir beigebracht, dass ich der römisch-katholischen Kirche Glauben schenken müsse, weil ich nur durch sie Christus finden könne. Christus zu gehorchen bedeutet nach römisch-katholischer Lehre, sich dem Stellvertreter Christi auf Erden, also dem Papst, zu unterwerfen. Während ich aber in meiner ‚Strafzelle’ die Evangelien durchlas, fand ich keine solchen Gedanken.
Auf der Suche nach Wahrheit
In Rom blätterte ich mehrmals im Telefonbuch und suchte nach Adressen von protestantischen Kirchen, dies obwohl ich damals den Protestanten gegenüber noch sehr skeptisch war. Ich erhoffte mir von ihnen eigentlich nur Hilfe beim Ausstieg aus meiner Kirche und beim Aufbau eines neuen Lebens. Dass sie mir auch in meinen geistlichen Kämpfen helfen könnten, kam mir nicht in den Sinn.
Als ich dann in Neapel wieder bei meiner Familie wohnte, kam die Idee, mit Protestanten Kontakt aufzunehmen, neu auf, und ich begann mir zu überlegen, ob ihr Glaube vielleicht doch der Richtige sein könnte. Obwohl ich damals alle meine priesterlichen Funktionen wieder ausüben durfte, las ich in sieben Monaten nur etwa zwanzig Mal die Messe; die Beichte hörte ich noch viel seltener ab und predigen mochte ich schon gar nicht.
Eines Sonntags machte ich, statt zur Messe zu gehen, einen Spaziergang durch die Stadt. Dabei entdeckte ich ein Schaufenster, in dem Bücher über biblische Themen ausgestellt waren. Daneben war der Eingang zu einer evangelischen Gemeinde. Aus Angst, mit meiner römisch-katholischen Priesterkleidung Aufsehen zu erregen, wagte ich aber nicht einzutreten, sondern rief später den Prediger an und erklärte ihm meinen Fall in einem persönlichen Gespräch.
Er brachte mich mit mehreren ehemaligen römisch-katholischen Priestern in Verbindung, die mir sehr viel halfen. Aber ich war noch nicht bereit, die Kirche zu verlassen. Ich wollte nicht unter dem negativen Eindruck meiner kürzlichen Straferfahrung eine Entscheidung treffen und nahm deshalb meine Pflichten als Priester und geistlicher Leiter der Jugendlichen wieder auf. Aber obwohl ich mich mit voller Energie meinen religiösen Aufgaben widmete, empfand ich immer mehr Abneigung dagegen.
Ich hatte meinen Glauben an die Messe und die Beichte verloren. Mehrmals sprach ich mit meinem neuen Superior, welcher sich sehr besorgt zeigte, dass ich schon so weit zum Protestantismus hin abgewichen war. Er gab mir den Rat, ganz fest zu Maria zu beten, denn sie würde mir helfen, meinen Glauben wiederzufinden.
„Du musst von neuem geboren werden“
Doch schliesslich wurde es unausweichlich: Ich musste das Priesteramt aufgeben. Innerhalb kürzester Zeit verliess ich Neapel und reiste nach Velp, in Holland, wo ich in einer bekannten Zufluchtsstätte für Ex-Priester Aufnahme fand. In diesem Haus las ich die Bibel, bat Gott um Vergebung und Hilfe und lernte Christus persönlich kennen. Ich erlebte, was Christus sagt und für jeden notwendig ist: „Ihr müsst von neuem geboren werden!“ (Johannes 3,7) „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat. Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat“ (Johannesevangelium 3,14-16).
Jede Geburt ist mit Anstrengung und Schmerzen verbunden. Zwanzig Jahre Klosterleben, das Studium der römisch-katholischen Theologie und dazu mein störrischer Charakter, das alles erschwerte meine Suche nach Gott und meine Begegnung mit ihm. Aber schliesslich gab ich dem Herrn nach, lieferte mich ihm kindlich aus und sagte schlicht: „Herr, ich glaube.“
Seit jenem Tag hat der Herr mich nie enttäuscht. Er hat meinen Glauben sowohl durch Freude wie durch Leid gestärkt und sich in Wahrheit als der lebendige und persönliche Freund und Retter erwiesen.
Renato Di Lorenzo war auch noch nach seiner Pensionierung aktiv im Dienst für den Herrn Jesus Christus. Er war Prediger einer evangelischen Gemeinde in Sondrio, Italien.